Das war: Zivilgesellschaft im Dialog 2022

Am Donnerstag hat das neue BÜNDNIS FÜR GEMEINNÜTZIGKEIT Vertreter:innen der Zivilgesellschaft zum Austausch rund um die Frage „Welche Rolle hat die Zivilgesellschaft in der Bewältigung der aktuellen Krisen?“ eingeladen. Nach der Begrüßung hat Franz Neunteufl, Geschäftsführer des Bündnis für Gemeinnützigkeit sowie der IGO, eine Fishbowl-Diskussion eingeleitet. Vier Diskutant:innen trafen sich dabei in der Mitte:

Das Publikum war eingeladen, auf einem freien Sessel bei den Diskutant:innen Platz zu nehmen und ihre eigenen Positionen einzubringen. Das Ergebnis war eine lebhafte Diskussion zur Verfasstheit der Zivilgesellschaft, ihren Stärken und Schwierigkeiten. Auch die Fragen, ob und auf welche Arten die organisierte Zivilgesellschaft wirksam werden kann und sollte, wurden vielfältig beleuchtet.

Zivilgesellschaft bewegt

In seinem Eingangsstatement zeigte Franz Neunteufl Beispiele auf, wann zivilgesellschaftliche Bewegungen in der Vergangenheit Gehör in der Gesetzgebung gefunden haben – von Tierschutz bis zu Inklusion und Gleichstellung.

Wie Zivilgesellschaft politisch wirksam werden kann, beschäftigte viele der Gäste. Ein kritischer Punkt schien der Sprung zwischen dem Bewusstsein für ein Anliegen und dem Setzen konkreter Handlungen zu sein. Katharina Rogenhofer sieht auch die Klimabewegung an dieser wichtigen Schwelle: „Wir haben es mit der Klimabewegung geschafft vom nicht-über-das-Thema-Reden zum über-das-Thema-Reden zu kommen. Das Problem ist, jetzt haben wir lauter Versprechen, haben irgendwelche tollen Ziele, aber Maßnahmen richtig auf den Boden bringen, können wir noch nicht.“

Gleichzeitig ist Rogenhofer überzeugt, dass der Druck zivilgesellschaftlicher Bewegungen die Politik zum Handeln bewegen kann und nennt als Beispiel, die Klimagesetzgebung, die sich in den letzten Jahren unabhängig von den regierenden Parteien verschärft hat. „Der außerpalamentarische Druck, die Bewegungen von außen, die Stimmen, die nicht im Parlament sitzen, sind tendenziell wichtiger als die Frage, wer regiert gerade.“, so Rogenhofer. Wichtige Faktoren in der Verwirklichung dieses Potentials sieht sie in der Masse an engagierten Menschen, aber auch in deren aktiven politischen Beiträgen. Dazu zählen unter anderem Gespräche mit Bürger:innen, Proteste, Gespräche mit verschiedenen Ebenen der Politik und darüber hinaus, selbst in der Praxis voranzugehen, z.B. mit der Gründung von Energiegemeinschaften.


Energie in der Bevölkerung nutzen

Einig war sich die Runde, dass Emotionen eine wichtige Rolle in der Mobilisierung und Umsetzung spielen. So wurde beispielsweise von der produktiven “Kombination aus Wut und Hoffnung” gesprochen. Zur Wut gab es auch kritische Stimmen aus dem Publikum. So etwa wurden die leidenschaftlichen und anklagenden Reden von beispielsweise Greta Thunberg von manchen Gästen auch als unkonstruktiv und trennend wahrgenommen. Rogenhofer wendet dagegen ein: „Wenn es immer gemütlich ist, würde man sich nicht um die Themen kümmern. Es muss schon ungemütlich werden.“

Feri Thierry beschrieb an dieser Stelle die historische Relevanz solch radikal wirkender Figuren, um große Prozesse anzustoßen. Er sieht Potenzial in der Reflexion und der konstruktiven Umsetzung von Gefühlen: „Die größte Herausforderung, vor der wir momentan stehen, ist es, diese massive Emotion, diese Energie, die schon da ist, in etwas positives umzuwandeln.“
Auch für Verena Ringler, die sich bei AGORA damit auseinandersetzt, wie Leadership für nachhaltige Entwicklung entstehen und wachsen kann, ist das Entstehen von Zuversicht ein Schlüssel, wenn es darum geht, vom Bewusstsein ins Tun zu kommen.

Vielfältiges Miteinander als Stärke und Imperativ

Zivilgesellschaftlich aktiv sind Menschen aller möglichen Hintergründe in den verschiedensten Lebenszusammenhängen. Besonders das Publikum griff diese Vielfalt immer wieder auf. Sie wurde als entscheidender Vorteil der Zivilgesellschaft in der Entwicklung neuer, tragfähiger Lösungen gesehen. Gleichzeitig wurde aber auch die Pflege dieser Inklusion verschiedener Bevölkerungsgruppen eingefordert. Dabei ging es beispielsweise um die Einbeziehung ethnischer und kultureller Minderheiten, aber auch allgemein um Menschen mit besonderen Bedürfnissen oder lokale Organisationen und neue Organisationsformen.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich und designierte Vorstandsvorsitzende des Bündnis für Gemeinnützigkeit, ist sich dieser Herausforderung bewusst. Sie meint, dass es neben dem Dialog, in dem das Bündnis mit diversen Organisationen steht, auch eine Abstimmung der Ziele und Strategien auf die diversen Gruppierungen braucht, um diese besser einbinden und repräsentieren zu können. Diversität wird dabei nicht als unabhängiges Thema gesehen, sondern als Aufgabe für alle Bereiche.

Verena Ringler betonte auch die Notwendigkeit, aktiv Kontakt mit Organisationen außerhalb von Wien oder großen Städten zu suchen und Austausch zu pflegen, um voneinander zu lernen. Diese Koalitionen können der Zivilgesellschaft nicht nur helfen, bessere Lösungen zu finden, sondern ihren Forderungen auch mehr politisches Gewicht verleihen.

Eine große Hürde beim Thema Diversität sind knappe Ressourcen, die die Zahl der Organisationen und Menschen, mit denen Austausch gepflegt werden kann, einschränken. Annemarie Schlack setzt auch eine bewusste Einschränkung bei möglichen Kooperationspartnern für das Bündnis für Gemeinnützigkeit: Die Anerkennung der Menschenrechte muss als Grundlage für ein Gespräch gegeben sein.

Um die Zivilgesellschaft langfristig wachsen und gedeihen zu lassen, wurde außerdem die Idee eingebracht, diese in Lehrplan und Schulbüchern zu verankern und konkrete Kooperationen mit Schulen einzugehen.


Zivilgesellschaft verbindet

Stärke der Zivilgesellschaft ist aber nicht nur die Kooperation nach innen, sondern auch nach außen. Verena Ringler verortet die Rolle der Zivilgesellschaft “…vor allem in drei Arenen: Die europäische, die lokale und die cross-sektorale – Zivilgesellschaft ist in den Zwischenräumen stark. Sie bereitet neue Wege. Sie ist deswegen schon per se in Fragen der Transformation absolut essenziell. Als Impulsgeberin und Wegbereiterin.“. Weil sie nicht in klassische Branchen unterteilt ist, gibt es in der Zivilgesellschaft also andere Kompetenzen und Erfahrungswerte, die helfen können, neue Lösungen zu finden und umzusetzen.

Außerdem kann die Zivilgesellschaft in allen Richtungen ein wichtiger Kooperationspartner sein. So geht es auch Feri Thierry im Forum Alpbach darum, Menschen aus Wirtschaft, Politik und der Zivilgesellschaft zusammenzubringen, um neue Netzwerke für den Austausch von Ideen und die Umsetzung von Projekten zu schaffen.

Für Annemarie Schlack sind diese weiten Netzwerke aber auch die lokale Verwurzelung der Quell der großen Expertise, die sich in der Zivilgesellschaft zu nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen finden lässt: „Was wir immer wieder hören ist, dass die Zivilgesellschaft mittendrin ist, wir sind lokal verortet – pflegen Menschen, führen Kulturbetriebe, Sportvereine, Freiwilligenorganisationen. Wir wissen, wie es den Leuten geht. Wir sind am nächsten dran. Wir sind die Kraft, die der Politik ein Sparring sein kann. Lösungen vorzeigen kann, aber auch einfordern muss.“ Sie sieht im Bündnis für Gemeinnützigkeit das Potenzial, diese Expertise zu bündeln, um gemeinsame Visionen zu entwickeln.

Verhältnis zum Staat

Der Staat und die Demokratie müssen für Schlack die Basis sein, auf der diese Partnerschaften stattfinden. Betont wurde dabei aus dem Publikum, dass die Zivilgesellschaft im Verhältnis zum Staat wachsam sein muss. Grundlegende staatliche Verpflichtungen sollen nicht vom Staat in die Verantwortung Einzelner abgegeben werden.

Gleichzeitig wurde der Bedarf besserer Verankerung zivilgesellschaftlicher Expertise in politischen Institutionen gesehen, die der Zivilgesellschaft mehr Wirksamkeit verschaffen würde. Verena Ringler sieht hier in Österreich zum Teil noch Skepsis zwischen den Beteiligten – sowohl von Seiten der Politik und Verwaltung, als auch von der Zivilgesellschaft. Regelmäßiger institutionalisierter Austausch wäre sinnvoll. Auf europäischer Ebene gibt es dazu aktuell die Forderung nach Entwicklung einer europäischen Civil Society Strategy.

Passend zum Thema der politischen Institutionen beendete Moderator Franz Neunteufl die fruchtbare Diskussion mit einem Zitat von Jean Monet, einem Wegbereiter der europäischen Union: “Nothing is possible without men, but nothing is lasting without institutions.”

Nach diesen vielfältigen Gedankenanstößen gab es beim anschließenden Buffet Gelegenheit die Gespräche in der gemütlichen Atmosphäre des Porgy & Bess zu vertiefen. Abschließend bot ein Livekonzert der Gruppe Großmütterchen Hatz den passenden Rahmen für ausgelassene Stimmung im Ausklang des Abends.